Antisemitismus : Muslime stimmen antisemitischen Aussagen deutlich häufiger zu als Nichtmuslime

Frederik Schindler | 10 mai 2022

Antisemitismus ist in der Mitte der Gesellschaft verbreitet – und nach einer neuen Studie noch deutlich stärker unter Muslimen. Hierbei spielt auch der Grad der Religiosität eine Rolle. Wähler einer Partei stimmen antisemitischen Aussagen deutlich häufiger zu als Anhänger anderer Parteien.

Antisemitische Stereotype und Ressentiments sind unter Muslimen in Deutschland deutlich stärker vertreten als im Bevölkerungsdurchschnitt. Zudem stimmen Wähler der AfD antisemitischen Aussagen deutlich häufiger zu als Wähler anderer Parteien. Zu diesen Ergebnissen kommt eine Repräsentativbefragung des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag des American Jewish Committee (AJC). Die Befragung liegt WELT vor.

Demnach teilen knapp 22 Prozent der Bevölkerung im Land antisemitische Einstellungen – ein Befund, der seit vielen Jahren von Studien konstant nachgewiesen wird. Unter den befragten Muslimen liegt die Zustimmung zu antisemitischen Aussagen bei knapp 46 Prozent.

So ist etwa gut jeder Dritte in der nicht-muslimischen Bevölkerung der Ansicht, dass Juden den Status als Opfer des Holocaust zu ihrem Vorteil ausnutzten. Unter den deutschsprachigen Muslimen stimmen hier ganze 54 Prozent zu. 23 Prozent der nicht-muslimischen Bevölkerung Deutschlands hängen dem antisemitischen Mythos an, dass Juden zu viel Macht in der Wirtschaft und im Finanzwesen hätten. Bei den befragten Muslimen stimmen sogar 49 Prozent dieser Aussage zu.

Der Aussage „Juden sind reicher als der Durchschnitt der Deutschen“ stimmen 27 Prozent der Gesamtbevölkerung zu – sowie 47 Prozent der Muslime. Mit der Realität hat dies nichts zu tun: Rund 220.000 Menschen kamen seit den 1990er-Jahren als jüdische Kontingentflüchtlinge aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion nach Deutschland, sie machen rund 90 Prozent der in Deutschland lebenden Juden aus. Laut Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland leben zwischen 65.000 und 70.000 dieser Menschen in Altersarmut, darunter viele Holocaust-Überlebende.

Ein Drittel der repräsentativ befragten Muslime macht Juden gar für viele Wirtschaftskrisen verantwortlich, dies gilt immerhin für elf Prozent der nicht-muslimischen Befragten.

 

Retrouver l’article sur welt.de

„Die Ergebnisse verdeutlichen abermals, dass Antisemitismus nicht allein ein Problem der politischen Ränder ist, sondern in der Mitte der Gesellschaft tief verankert ist“, sagt der Direktor des AJC Berlin, Remko Leemhuis. „Antisemitismus ist nicht allein ein Problem der muslimischen Community. Allerdings kann dieses immense Problem auch nicht ausgeblendet werden, wenn der Kampf gegen Antisemitismus erfolgreich sein soll.“

Die Befragung weist in der muslimischen Bevölkerung zudem einen engen Zusammenhang zwischen dem Grad der Religiosität und antisemitischen Ressentiments nach.

So stimmen diejenigen Muslime, die einen häufigen Moscheebesuch angaben, den abgefragten antisemitischen Aussagen deutlich häufiger zu als diejenigen Muslime, die angaben, nur gelegentlich, selten oder nie einen Gottesdienst zu besuchen. Allerdings ist die Zustimmung zu antisemitischen Aussagen unter den seltenen Moscheegängern teilweise niedriger als die unter denjenigen, die nie einen Gottesdienst besuchen.

Deutliche Unterschiede zeigen sich auch in den Einstellungen gegenüber Israel. Von den befragten Nichtmuslimen haben 54 Prozent ein „gutes“ oder „sehr gutes“ Bild vom jüdischen Staat. Bei den Muslimen trifft dies nur auf 19 Prozent der Befragten zu, während zwei Drittel angeben, ein „schlechtes“ oder „sehr schlechtes“ Bild von Israel zu haben. Antisemitische Ressentiments sind unter Personen, die von Israel ein schlechtes Bild haben, deutlich stärker verbreitet.

Das AJC hat zudem untersuchen lassen, wie sich die Zustimmung zu antisemitischen Aussagen unter den Wählern der im Bundestag vertretenen Parteien unterscheidet. Auffällig hierbei: Bei allen abgefragten Aussagen sind die Zustimmungswerte unter Anhängern der AfD am höchsten und unter Anhängern der Grünen am niedrigsten.

So teilen ganze 48 Prozent der befragten AfD-Wähler die Ansicht, dass Juden den Holocaust zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzten, bei den Grünen-Wählern sind es 24 Prozent, in der Gesamtbevölkerung 34 Prozent. 46 Prozent der AfD-Wähler halten Juden für reicher als den Durchschnitt der Deutschen, unter den Grünen-Wählern sind es 20 Prozent, in der Gesamtbevölkerung 27 Prozent.

Auch beim Gedenken an die nationalsozialistische Judenvernichtung zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den befragten Gruppen. Zwar halten insgesamt 91 Prozent das Holocaust-Gedenken für wichtig. Unter den Jüngeren (14 Prozent), Muslimen (21 Prozent) und AfD-Anhängern (24 Prozent) ist allerdings auch die Auffassung verbreitet, dass das Gedenken „nicht so wichtig“ sei.

Bereits im Oktober vergangenen Jahres zeigte eine repräsentative Befragung, die vom Zentralrat der Juden in Deutschland in Auftrag gegeben und vom Meinungsforschungsinstitut Forsa durchgeführt wurde, dass Anhänger der AfD überdurchschnittlich häufig antisemitischen Aussagen zustimmen.

Weitere Ergebnisse der neuen Befragung: 60 Prozent der Gesamtbevölkerung sowie 53 Prozent der Muslime halten Antisemitismus für ein weit verbreitetes Problem. 43 Prozent der Gesamtbevölkerung und 37 Prozent der Muslime halten dabei rechtsextreme Ansichten für die wichtigste Ursache des Judenhasses.

slamistische Ansichten halten hingegen nur 17 Prozent der Gesamtbevölkerung und acht Prozent der Muslime für die wichtigste Ursache. Zwei Drittel der Muslime und 73 Prozent der Gesamtbevölkerung betrachten Antisemitismus als ein Problem, das nicht nur die Juden, sondern die Gesellschaft als Ganzes betrifft.

Für die Untersuchung befragte das Allensbach-Institut bereits zwischen dem 22. Dezember 2021 und dem 18. Januar 2022 1586 deutschsprachige Personen ab 18 Jahren, von ihnen 561 Muslime. Zur Angleichung der Stichproben an die Grundgesamtheit erfolgte eine Gewichtung auf Basis des Mikrozensus 2020 sowie der Studie „Muslimisches Leben in Deutschland 2020“ des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge.

Commentaires (0)
Commenter

Aucun commentaire.